Foto: Alexandra Kiesel

Das Baukasten-Prinzip

Die Designerin Alexandra Kiesel hat ein starkes Konzept: Sie entwirft Mode auf der Basis von Modulen, mit denen sich irgendwann jeder seine individuelle Kleidung zusammensetzen kann.

Stefanie Dörre (Stellvertretende Chefredakteurin des Berliner Stadtmagazins tip)

Es war ein ebenso starkes wie polarisierendes Statement, das Modedesignerin Alexandra Kiesel da trug. „Marc loves me“ stand auf dem T-Shirt, in dem sie im Juli 2011 beim Nachwuchspreis Designer for Tomorrow by Peek & Cloppenburg Düsseldorf die Siegertrophäe entgegen nahm – aus den Händen des weltberühmten Modemachers Marc Jacobs. Kiesel hatte die vier weiteren Finalisten des Modewettbewerbs gefragt, ob sie die Aktion lustig fänden. Deren Begeisterung war gering. Trotzdem hat sie ein buntes Herz entworfen und im Copyshop aufs Shirt gedruckt. Und sich dann am Morgen des Finales spontan dafür entschieden, es anzuziehen. „Manche fanden es anbiedernd, andere fanden es witzig“, sagt sie über die Reaktionen „Aber irgendwie war es eine gute Idee. Es hat wahnsinnig eingeschlagen.“ Alexandra Kiesel, 1982 in Hausdorf bei Leipzig geboren, hat schon früh erkannt, wie provozierend Mode wirken kann. Mutter und Oma hatten ihr das Nähen beigebracht. Als Gymnasiastin trug sie dann eine selbst genähte Flowerpower-Sonnenblumenhose, dazu eine Glatze, und forderte damit die vielen Rechtsradikalen heraus, die es an ihrer Schule und in ihrem Ort gab. „Ich habe mich durch die Kleidung irgendwie gegen sie gestellt. Sie fühlten sich angegriffen durch die Art, wie ich aussah, das gab Stress und war sehr anstrengend. Das hat mir damals schon gezeigt, wie stark Mode ist. Es ist echt cool, dass man sich durch Kleidung so abgrenzen und ausdrücken kann.“

Do-it-yourself
Mode ist Aussage. Mode ist aber auch Handwerk. Und so hat Alexandra Kiesel nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung zur Schneiderin gemacht, um die Grundkniffe zu erlernen, bevor sie nach Berlin ging, um Modedesign zu studieren. „Das hat es voll gebracht. Ich konnte mich von diesen Regeln wieder komplett befreien, aber ich war schneller im Umsetzten von Ideen als andere.“ Sie hat an der Kunsthochschule Weißensee studiert, die in den letzten Jahren eine ganze Reihe herausragender Modedesigner hervorgebracht hat: c.neeon mit ihren großartigen geometrischen Mustern, Michael Sontag mit seinen aus Stoffbahnen drapierten asymmetrischen Kleidern, schmidttakahashi mit ihrem Konzept, Teile alter Klamotten mit außergewöhnlichen Schnitten zu neuen Stücken zusammenzusetzen. Ein starkes Konzept ist auch der Ansatz von Alexandra Kiesel. Für ihre Diplom-Kollektion Baukasten Individualisten 12/6/24 hatte sie ein Baukasten-System für Kleidungsstücke erdacht.

Das Prinzip zeigt die Schneiderpuppe in ihrem Atelier. Sie ist mit rotem Klebeband in Einzelflächen aufgeteilt: Alle 12 Zentimeter teilt ein signalroter Streifen eine Körperpartie in der Länge ab, 6 Zentimeter misst das Schulterteil, 24 Zentimeter die Breite des Vorder- sowie des Rückteils. Für jedes Teil gibt es ein Angebot verschiedener Farben und Stoffe, und so kann sich der Käufer sein eigenes Stück gestalten. Bei ihrer Diplomprüfung im Februar 2011 wurde kritisiert, dass sie ihre Idee sehr weit treibe und ein hässliches Teil besser aussortiert hätte. „Meine Stärke sind Konzepte. Ich wollte zeigen, was mit diesem System alles möglich ist“, erklärt sie. Bei der überarbeiteten Version, mit der sie beim Designer for Tomorrow-Wettbewerb startete, zeigte sie Jacken, deren Konstruktion aus Einzelflächen durch die farblichen Gegensätze von Grün und Rot, Blau und Gelb herausstachen, ein fließendes Kleid mit geometrisch-flächigem Muster, einen weiten langen Rock und ein Minikleid, alles in leuchtenden kontrastierenden Farben, dazu Ketten mit Bauklötzchen-Anhängern. Alle Teile basierten auf dem gleichen strengen, aber dann doch erstaunlich variablen Prinzip.

Der Kunde als Co-Designer
Das überzeugte, war eine schöne Bestätigung ihrer Arbeit und hat ihr ein Preisgeld eingebracht, mit dem sie jetzt ihre neue Kollektion finanziert. Diese wird sie – auch das Teil des Gewinns – im Januar 2012 auf der nächsten Berliner Fashion Week in einer eigenen Schau vorstellen. „Ich wollte schon lange mit Künstlern zusammenarbeiten, der Preis ermöglicht mir das jetzt. Ich habe die Möglichkeit, alles auszuprobieren“, sagt sie. Für die neue Kollektion Support your Local Hero arbeitet sie mit den Streetart-Künstlern und Grafikern von Grobgrafik und Golden Cosmos zusammen, die wie sie auf dem Sprung zu internationaler Bekanntheit sind. Grobgrafik und Golden Cosmos entwerfen Stoffe, die Alexandra Kiesel dann mit neuen Schnitten und Modulen in ihr Baukastensystem integriert. Daran will sie nichts ändern. Sie mag es nicht, dass eine Kollektion jede Saison wieder verworfen wird, sondern setzt auf Erweiterung der Basisstücke. Ihr System ist so flexibel, dass der ästhetische Eindruck der neuen Kollektion „komplett anders“ sein wird, sagt sie, aber durch die strenge Unterteilung trotzdem wieder erkennbar sei. Und sie ist weiterhin davon überzeugt, dass die Kunden Co-Designer sein sollen. „Ich finde es cool, wenn die Leute sich trauen, sich selbst über Mode auszudrücken.“ Angst, als Modemacherin dadurch überflüssig zu werden, hat sie nicht. „Individualität ist wichtig, der Benutzer sollte mitbestimmen, wie seine Kleidung aussieht.“

Quelle / Copyright: Goethe-Institut e. V., Internet-Redaktion
November 2011
http://www.goethe.de/kue/des/
prj/mod/dsg/abc/de8472394.htm

Zugriff am 12. Januar 2012 um 10:00h?